Der Gelbhund – Teil 3

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Gelbhund

Der Gelbhund – Eine Geschichte von Gerhard Dinauer. Zum Nachlesen  Teil 1 und Teil 2

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Die Nacht kam schnell und es wurde nun merklich kühler. Mit der Dunkelheit erstarb das Treiben auf der Straße. Die Männer konnten ihre Motos nicht mehr reparieren, die Frauen hatten nichts mehr einzukaufen, die Kinder mussten in die Betten. Nur die Mädchen und Burschen standen noch an den Straßenecken und flüsterten oder lachten verhalten. Dann erstarben auch diese Geräusche und gegen zehn Uhr abends legte sich eine köstliche Stille wie ein weicher Mantel über die Stadt. Ich war schon wieder sehr müde und so war ich schnell im Bett und ich freute mich auf den erquickenden Schlaf einer stillen, kühlen Nacht.

Eben wollte mich Morpheus wohlig in den Arm nehmen, als direkt vor der Galerie ein markerschütterndes Geheul die Stille der Nacht zerriss. Uhuhuu, Uhuhuu. Und vielstimmig erscholl ein Echo aus allen Richtungen, aus allen Bezirken der weitläufigen Stadt. Dem Geheul folgte Gebell, eine ohrenbetäubendes Stakkato von der Dauer einer halben Minute, ebenfalls vor meiner Galerie. Die Antwort legte sich wie eine polyphone Glocke über die Stadt, die Antwort aus tausenden Hundekehlen, die Stimmgewalt der vereinigten Straßenköterschaft der großen Stadt San Pedro de Macorís.

 Ich sprang aus dem Bett. Vor der Galerie, mitten auf der sonst völlig leeren Straße, saß der gelbe Hund. Eben verstummte die tausendstimmige Meute und er begann von neuem sein Gebell. Er schien der hündische Vorbeter der Stadt zu sein, der begnadete Solist des lauten Gebells. Irgendwie war ich stolz auf ihn. Mein gelber Hund war der Star des Hundeorchesters. Er hatte mich aus dem Schlaf gerissen, nun gut. Die gute Stunde schenkte ich ihm, um Mitternacht würde Ruhe sein. So setzte ich mich wieder in die Galerie und ersann einen weiteren Vers.

 

der gelbhund bellt

der bellhund gelbt

dor golbhond boll

dor bollhond golb

 

Der Vers war ersonnen, der Vers war niedergeschrieben, die gute Stunde war vergangen, Mitternacht war längst vorüber, der golbe Hond boll immer noch. Mein hellgelber Stolz auf ihn wich langsam dunkelgrauer Verzweiflung und später, viel später wich die Verzweiflung giftgrünem Hass und blutrottriefender Mordlust. In dieser Stunde zwischen zwei und drei Uhr morgens betätigte ich mich erneut als Poet.

 

der abend kommt mit schneller stund,

alldrüben bellzt der gelbe hund.

knurrzt für sich hin, grollzt für sich her,

schlüg ich ihn tot, böllzt er nicht mehr

 

Um vier Uhr zwölf bellte der Gelbhund ein letztes Mal, um vier Uhr dreizehn erscholl die letzte Antwort. Dann heulte er kurz, knurrte irgendetwas vor sich hin und – schwieg! Erschöpft sank ich in einen unruhigen Schlaf.

 

Erschreckt fuhr ich hoch. Mir schien, als wäre es direkt neben meinem Ohr geschehen, doch diese übertriebene Nähe hatten mir nur meine überreizten Nerven vermittelt. In Wirklichkeit krähte der Hahn mindestens zehn Meter von mir entfernt – im Schuppen des Nachbarn, auf der gegenüber liegenden Seite der Straße. Ich blickte auf die Uhr. Vier Uhr achtzehn.

Und nun kam es zum orchestralen Wettkampf der Hähne. San Pedro de Macorís hat mehr als zweihunderttausend Einwohner, wohl vierzigtausend Familien leben hier. Jede zweite Familie hält Hühner. Und somit krähen jeden Morgen ab vier Uhr achtzehn an die zwanzigtausend Hähne.

 

Gegen Mittag des nächsten Tages kam Santiago, klopfte heftig gegen die Eingangstüre und weckte mich aus dem unruhigen Halbschlaf, der in der Hitze der hoch stehenden Sonne möglich war. Er kam schnell zur Sache.

„Spreche er jetz über Arbeit mit Kinden?“

„No, Santiago, ahora no, jetzt nicht. Mañana, por favor, morgen, bitte.”

Als Santiago gegangen war, schleppte ich mich in die Galerie. Die Straße lag in der Mittagshitze leer und ausgestorben da. Im gegenüber liegenden Hof war es ruhig, die Türe zum Schuppen stand offen und im Schatten lag lang ausgestreckt, halb unter dem Stuhl, der gelbe Hund. Er schläft den Schlaf, den er mir gestohlen hat, dachte ich.

 

An diesem Tag verließ mich die Müdigkeit nicht und abends ging ich früher zu Bett, obwohl der Lärm von der Straße noch nicht verklungen war und die Hitze des Tages noch schwer im Zimmer hing. An Schlafen war vorerst nicht zu denken und ich wartete sehnsüchtig auf die Stille und auf die Kühle der Nacht. Heute würde selbst der Gelbhund müde sein, heute würde ich endlich Schlaf finden.

So schlief ich tatsächlich nach zehn Uhr abends ein und ich schlief tief und fest – bis zehn Uhr zwölf. Das Geheul des gelben Hundes war diese Nacht noch lauter, sein Gebell noch durchdringender. Was soll ich viel erzählen? Er war ein Wunder an Pünktlichkeit. Vier Uhr zwölf letztes Gebell, vier Uhr vierzehn, letztes Geheul. Die Hähne eröffneten ebenfalls überpünktlich.

Der vierte und letzte Teil über die Geschichte des gelben Hundes folgt am 15. Dezember!

[box type=“info“ style=“rounded“ border=“full“]Über den Autor: Gerhard Dinauer, geboren 1941 in Bruck a.d. Mur, Österreich. Studien der Mathematik und Technischen Mathematik an der Universität in Graz und an der Technischen Universität in Graz. Lehrtätigkeit an verschiedenen Höheren Schulen, an der Technischen Universität in Wien und an der Pädagogischen Akademie in Graz. Mitautor mehrerer Lehrbücher, ab 1990 Hinwendung zur Belletristik. Veröffentlichungen seiner Erzählungen in diversen Literaturzeitschriften und Anthologien.

Gerhard Dinauer lebt in Seiersberg bei Graz.[/box]

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