Wiener Tierärzteschaft: Stellungnahme zur Novelle der Tierhalteverordnung – Ethische Problematik der ex lege-Euthanasie

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Tierhalteverordnung Wien

Die Wiener Tierärzteschaft hat einen offenen Brief als Stellungnahme zur Novelle der Wiener Tierhalteverordnung und der ethischen Problematik der ex lege-Euthanasie veröffentlicht:

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Offener Brief der Wiener Tierärzteschaft

Sehr geehrte Fr. Stadträtin Mag.a Sima! 

Die Landesstelle Wien der österreichischen Tierärztekammer, die ich als Präsident vertreten darf, hat die Diskussionen um die Haltung von Hunden in Wien lange Zeit schweigend verfolgt. Da sich das Wiener Tierhaltegesetz jedoch in den Punkten, in denen es um die besondere Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen geht, nicht auf wissenschaftlich nachvollziehbaren Fakten stützt, sieht sich die Wiener Tierärzteschaft aufgrund ihrer Expertise gezwungen, folgende Stellungnahme zu der jüngst erfolgten Verschärfung der Listenhundegesetzgebung abzugeben:

Wie kynologische und juristische Expertinnen (Frau Prof Sommerfeld-Stur und Frau DDr. Binder) ausführen, ist keine wissenschaftlich korrekt durchgeführte Studie bekannt, die den Nachweis führt, dass Vertreter der gelisteten Rassen ein höheres Gefährdungspotential aufweisen als Hunde anderer Rassen vergleichbarer Größe und Statur. Vielmehr sind Verhaltensmerkmale niedrig heritabel und das Verhalten eines Hundes hängt sehr viel mehr von den Umweltbedingungen unter denen er aufgezogen und gehalten wird ab, als von den genetischen Grundlagen und damit von seiner Rassezugehörigkeit.

Hunde sind daher in jedem Fall als Individuen zu betrachten, die sich auf der Basis individueller genetischer Grundlagen, individueller Zucht-, Aufzucht- und Haltungsbedingungen sowie individueller Erfahrungen individuell verhalten. Allein auf Grund der Rassezugehörigkeit pauschal von einer besonderen Gefährlichkeit auszugehen ist daher eine fachlich nicht zu rechtfertigende Diskriminierung von Hunden betroffener Rassen und deren Haltern (Sommerfeld-Stur).

Da auch keine methodisch aussagekräftigen Statistiken über die Verursacher von Hundebissen geführt werden, fehlen zudem zuverlässige empirische Daten über die Häufigkeit, mit der einzelne Rassen in Beißvorfälle verwickelt sind. In Anbetracht fehlender objektiver Entscheidungsgrundlagen ist daher zu bezweifeln, ob rassespezifische Sicherungspflichten sachlich gerechtfertigt und damit treffsicher sind und ob die im Wiener Tierhaltegesetz vorgesehenen Maßnahmen als verhältnismäßig und erforderlich beurteilt werden können (Binder).

Weiters ist zu bedenken, dass die vom Wiener Tierhaltegesetz angeordneten restriktiven Anforderungen für Listenhunde – insbesondere die generelle Maulkorb- und Leinenpflicht – natürliche Verhaltensweisen der Hunde erheblich einschränken können und damit den im Tierschutzgesetz verankerten allgemeinen Grundsätzen der Tierhaltung widersprechen. Die verschärfte Wiener Hundegesetzgebung schürt letztlich nicht nur die Angst vor bestimmten Hunderassen, sondern suggeriert auch eine falsche Sicherheit in Bezug auf andere Hunde. Aus kynologischer und tierschutzrechtlicher Perspektive wird von ExpertInnen die Auffassung vertreten, dass wirksame Maßnahmen zur Prävention von Beißvorfällen für jene Personengruppen vorgesehen werden sollten, die sich einerseits durch ihre besondere Verantwortung und andererseits durch ihre erhöhte Gefährdung auszeichnen, nämlich Hundezüchter, Hundehalter sowie Eltern und Kinder:

  • ZüchterInnen: Da Verhaltensauffälligkeiten bzw. Aggressionsprobleme häufig bzw. vorwiegend durch Fehler in der Zucht und Aufzucht verursacht werden, bedarf es einer Nachschärfung der im Tierschutzrecht vorgesehenen zuchtrelevanten Bestimmungen, insbesondere eines Sachkundenachweises für ZüchterInnen.
  • HalterInnen: Die Verpflichtung aller HundehalterInnen zum Erwerb eines Sachkundenachweises ist grundsätzlich zu begrüßen. Die derzeit vorgesehene theoretische Wissensvermittlung sollte jedoch zu einer praktischen Basisschulung mit dem jeweiligen Hund erweitert werden, um individuell auffällige Hunde frühzeitig identifizieren und wirksame Maßnahmen zur Gefahrenprävention ergreifen zu können.
  • Kinder / Eltern: Da die Begegnung mit Hunden aus dem gesellschaftlichen Alltag nicht wegzudenken ist, sollte der Umgang mit Hunden – ebenso wie die Verkehrserziehung – verpflichtend in den Vorschul- und Schulunterricht integriert werden.

Ein weiteres Problem der verschärften Hundegesetzgebung stellt für die Tierärzteschaft die ex lege-Euthanasie dar. Diese ist nicht nur geeignet, TierärztInnen einem Gewissenskonflikt auszusetzen, sondern bringt auch ein Misstrauen gegenüber dem gesamten Berufsstand zum Ausdruck, da dieser u.a. dazu berufen ist, die physische und psychische Verfassung von Tieren sowie daraus resultierende Indikationen zur Vornahme einer Euthanasie auf individueller Ebene fachkundig zu beurteilen. Die Anordnung der ex lege-Euthanasie widerspricht somit letztlich dem professionellen Selbstverständnis der Tierärzteschaft (…)
Hochachtungsvoll

Dr. Manfred Hochleitner, 
Präsident der Landesstelle Wien
Dr. Eva Wistrela-Lacek, Vertreterin der Verhaltsveterinärmedizin

Stellungnahme Prof Irene Sommerfeld-Stur

Das Wiener Tierhaltegesetz in seiner 12. Fassung beruht in den Punkten, in denen es um die besondere Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen geht, nicht auf wissenschaftlich
nachvollziehbaren Fakten. Die tatsächlichen Fakten sind laut A.Univ.Prof.Dr.med.vet. Irene Sommerfeld-Stur – Populationsgenetikerin und Expertin auf dem Gebiet der Hundezucht

  1. Hunderassen sind keine biologischen Einheiten, sie sind definiert durch die von den
    Zuchtverbänden vorgegebenen Kriterien der Abstammung von bestimmten Gründertieren und den im Rassestandard angegebenen Merkmalen. Dabei beschreiben die Rassestandards in den meisten Fällen in erster Linie körperliche Merkmale. Die Grundlage dafür ergibt sich aus der Tatsache, dass körperliche Merkmale hoch heritabel sind und daher eine Vereinheitlichung innerhalb einer Rassepopulation durch Selektion relativ gut machbar ist. Trotzdem gibt es auch in Bezug auf körperliche Merkmale innerhalb der Rassepopulationen eine mehr oder weniger große Varianz. Dies gilt umso mehr für Merkmale des Wesens und des Verhaltens. Denn auch wenn in manchen Rassen bestimmte Verhaltensweisen züchterisch bearbeitet werden so ist eine
    Konsolidierung innerhalb einer Rasse kaum möglich. Denn Verhaltensmerkmale sind niedrig heritabel, das Verhalten eines Hundes hängt sehr viel mehr von den Umweltbedingungen unter denen er aufgezogen und gehalten wird ab, als von den genetischen Grundlagen und damit von seiner Rassezugehörigkeit. Neuere Erkenntnisse aus dem Bereich der Epigenetik zeigen zudem dass bereits Umweltfaktoren, denen die Elterntiere schon vor der Verpaarung ausgesetzt sind, sowie Umwelteinflüsse während der Embryonalentwicklung und während der Primärsozialisation entscheidend für die Entwicklung des Verhaltens sein können.
  2. Hunde sind daher in jedem Fall – wie Menschen auch – als Individuen zu sehen, die auf der Basis individueller genetischer Grundlagen, sowie individueller Zucht-, Aufzucht- und
    Haltungsbedingungen sowie individueller Erfahrungen individuelles Verhalten zeigen. Dabei besteht auch bei Rassen, bei denen verwendungsspezifisch bestimmte Verhaltensweisen züchterisch begünstigt worden sind, bzw. werden, eine mehr oder weniger große Varianz innerhalb der Rassen.
  3. Die Gefährlichkeit eines einzelnen Hundes beruht auf verschiedenen Faktoren, die in erster Linie auf bestimmten körperlichen Eigenschaften beruhen. So ist es grundsätzlich nachvollziehbar, dass große, gut bemuskelte Hunde ein größeres Beschädigungspotential haben, als kleinere Hunde. Das gilt aber für alle größeren Hunde und sicher nicht nur für die im Wiener Tierhaltegesetz als besonders gefährlich gelisteten Rassen. Aber auch kleinere Hunde können Menschen mehr oder weniger schwer, unter Umständen sogar tödlich, verletzen.
  4. Es ist keine wissenschaftlich korrekt durchgeführte Studie bekannt, die den Nachweis führt, dass die gelisteten Rassen ein höheres Gefährdungspotential aufweisen als andere Rassen vergleichbarer Größe und Statur.
  5. Das Postulat einer besonderen Gefährlichkeit allein auf Grund der Rassezugehörigkeit ist daher nichts anderes als offenbar politisch gewollter polemischer Rassismus dessen einzige Folge eine unzumutbare Diskriminierung von Hunden betroffener Rassen und deren Besitzern ist.
  6. Was tatsächlich wissenschaftlich plausibel ist, dass bei Hunden, die bereits einmal gebissen haben, ein höheres Risiko für wiederholte Vorfälle besteht, als bei bisher unauffälligen Hunden. Auflagen für bereits auffällige Hunde, die tatsächlich auch umgesetzt und kontrolliert werden machen daher durchaus Sinn, und hätten möglicherweise sogar den Tod des kleinen Waris verhindern können.
  7. Zu bedenken ist auch, dass die Festlegung bestimmtere Rassen als besonders gefährlich den Schluss nahelegt, dass alle anderen, nicht genannten Rassen weniger gefährlich sind und damit zu einem sorgloseren Umgang mit nicht gelisteten Rassen führt.

Da tatsächlich Hunde als Spezies ein grundsätzliches Gefahrenpotential aufweisen, erscheint es durchaus sinnvoll und notwendig dass der Gesetzgeber Präventionsmaßnahmen vorsieht. Diese sollten aber tatsächlich sinnvoll und effizient sein und nicht als anlassbezogene Alibiaktion dem Bürger eine Scheinsicherheit vorgaukeln. So könnten sinnvolle Präventionsmaßnahmen u.a. wie folgt aussehen:

• Da der wesentlichste Umweltfaktor für einen Hund sein Besitzer bzw. die Besitzerfamilie ist, sollte jeder Hundehalter, nach Möglichkeit noch vor der Anschaffung eines Hundes, einen Sachkundenachweis erbringen.
• Da Hunde nun mal seit vielen Tausend Jahren Teil unseres Lebens sind – man denke dabei auch an die zahlreichen Funktionen, die Hunde im sozialen Umfeld des Menschen haben – sollten bereits Kinder lernen, wie man mit Hunden umgeht. Hundekunde sollte ein verpflichtender Teil der Grundausbildung von Kindern sein.
• Da eine artgerechte und sorgfältige Zucht und Aufzucht von Hunden unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus dem Bereich der Genetik, der Epigenetik, der Veterinärmedizin und der Verhaltenswissenschaften eine wesentliche Voraussetzung für einen sozialverträglichen Hund darstellt, wäre es wünschenswert dass auch Hundezüchter einen Sachkundenachweis erbringen müssen. In diesem Zusammenhang wäre es ebenfalls zu wünschen, dass der illegale Import von „Billigwelpen“ unterbunden würde. Denn diese haben fast durchwegs aufgrund ungünstigster Aufzuchtbedingungen ein erhöhtes Potential für Verhaltensprobleme.

Stellungnahme der Vertreterin der VerhaltensveterinärmedizinerInnen Dr. Wistrela-Lacek

Selbstverständlich liegt es im Interesse aller – ob Hundebesitzer oder nicht – dass weder Mensch noch Tier Schaden durch Hunde zugefügt wird. Um Unfälle mit Hunden zu vermeiden, gibt es nationale wie auch internationale Empfehlungen von Experten aus den verschiedensten Bereichen wie der Verhaltensveterinärmedizin, Zucht- und Genetik, Tierschutz- und Veterinärrecht, Unfallverhütung und Sozialwissenschaften.

Aus tierschutzrechtlicher und kynologischer Sicht können nur folgende Maßnahmen zur Prävention von Beißvorfällen empfohlen werden: Verpflichtende Sachkunde für jene drei wichtigsten Zielgruppen, die sich einerseits durch ihre erhöhte Gefährdung und andererseits durch ihre besondere Verantwortung auszeichnen, hierzu zählen: Hundehalter, Eltern und Kinder, Hundezüchter. Nur wenn man Risikosituationen rechtszeitig erkennt können sie vermieden beziehungsweise entschärft werden.

Als Veterinärmediziner – allen voran die Verhaltensmediziner – sehen wir uns nicht nur als Fachleute in Bezug auf Kynologie, sondern auch als Anwälte und Fürsprecher der Tiere. Aufgrund unserer vielfältigen fachlichen Arbeit mit Hunden erkennen wir in der Entwicklung der gesetzlichen Vorgaben der Hundehaltung in Wien massive negative Tendenzen, denen wir deutlich entgegenhalten möchten:

Alleine auf Grund der Rassezugehörigkeit eine besondere Gefährlichkeit zu bestimmen ist eine fachlich nicht zu rechtfertigende Diskriminierung von Hunden betroffener Rassen und deren Haltern. Auch teilen sämtliche Verhaltensveterinärmediziner die wissenschaftlich fundierte Meinung, dass durch eine Anlassgesetzgebung die Erstellung von Rasselisten in keiner Weise die Sicherheit erhöht, sondern eine falsche Sicherheit in Bezug auf andere Hunde vortäuscht. Eine erhöhte Gefährlichkeit einzelner Hunderassen wurde niemals in einer wissenschaftlichen Arbeit nachgewiesen. Vielmehr jedoch bestätigen Fachleute und Wissenschaftler die Tatsache, dass jeder Hund jeder Rasse als Lebewesen zu Fehlverhalten und somit zu gefährlichem Verhalten fähig ist.

Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit eines Hundes kann nur anhand seines Verhaltens, nicht anhand seiner Rasse gezogen werden. Nicht Aussehen ist gefährlich, sondern Verhalten.
Eine entsprechend sichere Verwahrung von Hunden im öffentlichen Bereich war bisher bereits als sinnvolle Maßnahme im Gesetz verankert. Einer jedoch generellen Maulkorb- und Leinenpflicht kann aus verhaltensmedizinischer Sicht nur auf das Deutlichste widersprochen werden. Hiermit werden die natürlichen Verhaltensweisen der Hunde erheblich einschränkt, was somit den im Tierschutzgesetz verankerten allgemeinen Grundsätzen der Tierhaltung widerspricht. Nicht zuletzt stellt auch die Anordnung der ex lege-Euthanasie einen massiven Widerspruch zum professionellen Selbstverständnis der Tierärzteschaft dar.

Stellungnahme DDr. Binder: Rechtliche Aspekte der Wiener Listenhundegesetzgebung

Die verschärften Verpflichtungen, die das Wiener Tierhaltegesetz HalterInnen von Hunden gelisteter Rassen (und entsprechender Mischlinge) unabhängig von deren individueller Gefährlichkeit auferlegt, widersprechen den im Tierschutzgesetz verankerten Grundsätzen der Tierhaltung, da die generelle Maulkorb- bzw. Leinenpflicht natürliche Verhaltensweisen der Hunde erheblich einschränkt.

HundehalterInnen stehen somit nicht nur in einem Interessenkonflikt, sondern sind auch mit einer Pflichtenkollision konfrontiert, da sie sowohl die Bestimmungen des Tierschutzrechts als auch die sicherheitspolizeilichen Vorschriften einhalten müssen. Zudem schürt die verschärfte Wiener Hundegesetzgebung nicht nur die Angst vor bestimmten Hunderassen, sondern suggeriert auch eine Scheinsicherheit im Hinblick auf andere Hunde, die zu einer folgenschweren Sorglosigkeit im Umgang mit diesen Tieren verleiten kann.

Selbstverständlich sind Sicherungsmaßnahmen für Hunde im öffentlichen und vor allem im städtischen Raum unverzichtbar, da das Leben und die Gesundheit von Menschen die höchsten Rechtsgüter darstellen; dennoch ist bei der Ausgestaltung dieser Pflichten zu bedenken, dass das durch das Tierschutzgesetz geschützte Wohlbefinden der Hunde, aber auch die Lebensqualität ihrer HalterInnen durch die sicherheitspolizeilichen Anforderungen deutlich beeinträchtigt werden können, was dann nicht zu rechtfertigen ist, wenn die Sicherungspflichten überschießend sind. Von einer solchen Unverhältnismäßigkeit wird jedenfalls dann auszugehen sein, wenn die Gefährlichkeit bestimmter Rassen unwiderleglich vermutet wird, d.h. wenn – wie im Hinblick auf Listenhunde, die nach dem 01.01.2019 angemeldet wurden –, keine Möglichkeit besteht, auf individueller Ebene (z.B. durch Absolvierung einer Prüfung bzw. eines „Wesenstests“) eine zumindest befristete Befreiung von den besonderen Sicherungspflichten zu erwirken.

Im Falle einer allgemeinen Leinen- und / oder Maulkorbpflicht haben Hunde im städtischen Raum nur noch in Hundezonen die Möglichkeit, sich (weitgehend) ungehindert zu bewegen, sofern eine ausreichende Anzahl entsprechend großer und hundegerecht ausgestatteter Hundezonen zur Verfügung steht. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt folgende Überlegung: Würde jeder der 50.000 gemeldeten Hunden täglich 2 Stunden in einer der Hundezonen verbringen, so hielten sich permanent 29 Hunde in jeder der 194 Hundezone auf.1
Listenhundegesetzgebungen waren bereits mehrmals Gegenstand höchstgerichtlicher Verfahren: 1997 hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die in der Steiermark
erlassene Listenhundegesetzgebung aufgehoben, da kein Gutachten der Veterinärmedizinischen Universität Wien eingeholt worden war.

Im Jahr 2011 hat der VfGH die Verfassungskonformität der Listenhundegesetzgebung Wiens und Niederösterreichs hingegen bejaht, ohne zu hinterfragen, ob die Annahme einer
rassespezifischen Gefährlichkeit auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht und
kynologische ExpertInnen nach wie vor einhellig bestätigen, dass keine wissenschaftlichen Belege für diese Annahme vorliegen. Da auch keine methodisch aussagekräftigen Statistiken über die Verursacher von Hundebissen geführt werden, fehlen zudem zuverlässige empirische Daten über die Häufigkeit, mit der einzelne Rassen in Beißvorfälle verwickelt sind. Dass die Festlegung der Rasselisten nicht wissensbasiert erfolgt, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich diese Listen sowohl innerhalb Österreichs als auch im benachbarten Ausland (Deutschland und Schweiz) nach Inhalt und Umfang z.T. sehr deutlich voneinander unterscheiden.

Obwohl die Festlegung rassespezifischer Anforderungen an die Haltung von Hunden nach der neueren Rechtsprechung des VfGH in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fällt, ist in Anbetracht fehlender objektiver Entscheidungsgrundlagen zu bezweifeln, ob rassespezifische Sicherungspflichten sachlich gerechtfertigt und damit treffsicher sind und ob die im Wiener Tierhaltegesetz vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich als verhältnismäßig und erforderlich beurteilt werden können.

Ebenso fraglich ist die Verhältnismäßigkeit der Verpflichtung, einen Hund, der einen Menschen (wenngleich ohne dessen grob fahrlässiges Verhalten) schwer verletzt hat, ex lege, d.h. ohne Beurteilung der Umstände des konkreten Einzelfalls, zu euthanasieren. In diesem Zusammenhang ist einerseits unklar, welche Beißvorfälle der Gesetzgeber tatsächlich meint, da ein Hundebiss aufgrund der Gefahr einer Erkrankung des Verletzten an der Tollwut grundsätzlich immer als eine „an sich schwere Verletzung“ einzustufen ist. Andererseits besteht auch hier ein Widerspruch zum Tierschutzgesetz, da Tiere nur bei Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ getötet werden dürfen und die Euthanasie eines Heimtieres voraussetzt, dass bei Beurteilung dieses Rechtfertigungsgrundes alle Umstände des konkreten Einzelfalls berücksichtigt werden. Die Anordnung der ex lege-Euthanasie ist nicht nur geeignet, TierärztInnen einem Gewissenskonflikt auszusetzen, sondern bringt auch ein Misstrauen gegenüber dem gesamten Berufsstand zum Ausdruck, der u.a. dazu berufen ist, die physische und psychische Verfassung von Tieren sowie daraus resultierende Indikationen zur Vornahme einer Euthanasie im Einzelfall fachkundig zu beurteilen. Die Anordnung der ex lege-Euthanasie widerspricht somit letztlich dem professionellen Selbstverständnis der Tierärzteschaft.

Im Konfliktfeld zwischen dem stetig steigenden Stellenwert der Mensch-Hund Beziehung in unserer Gesellschaft sind auch bei der Planung legistischer Maßnahmen im Bereich des Sicherheitspolizeirechts die berechtigten Interessen der HundehalterInnen und das öffentliche Interesse am Tierschutz angemessen zu berücksichtigen, d.h. dass unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse und gesicherter empirischer Daten eine ausgewogene Lösung angestrebt werden sollte.

Maßnahmen zur Prävention von Beißvorfällen

Aus tierschutzrechtlicher und kynologischer Sicht werden folgende Maßnahmen zur Prävention von Beißvorfällen empfohlen:

  • ZüchterInnen: Da Verhaltensauffälligkeiten bzw. Aggressionsprobleme häufig bzw. vorwiegend durch Fehler in der Zucht und Aufzucht (d.h. im Rahmen der frühen Sozialisierung) grundgelegt werden, sollten die für die Zucht relevanten Bestimmungen des Tierschutzgesetzes nachgeschärft werden (z.B. Qualzuchtverbot, spezifischer Sachkundenachweis für ZüchterInnen).
  • HalterInnen: Die Verpflichtung aller HundehalterInnen zum Erwerb eines Sachkundenachweises ist grundsätzlich zu begrüßen. Die derzeit vorgesehene theoretische Wissensvermittlung sollte jedoch zu einer praktischen Basisschulung mit dem jeweiligen Hund erweitert werden, um individuell auffällige Hunde frühzeitig identifizieren und wirksame Maßnahmen zur Gefahrenprävention ergreifen zu können.
  • Kinder / Eltern: Da die Begegnung mit Hunden aus dem gesellschaftlichen Alltag nicht wegzudenken ist, sollte der Umgang mit Hunden – ebenso wie die Verkehrserziehung – verpflichtend in den Vorschul- und Schulunterricht integriert werden. Andererseits sollte auch erziehungsberechtigten Personen eine entsprechende Unterweisung (z.B. im Rahmen von Elternberatungen) angeboten werden.

Quelle: Landesstelle Wien der Österreichische Tierärztekammer

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